Andacht, Bezirkssynode Pirmasens 8.11.25

Liebe Synodale,
ich freue mich, heute hier zu sein und diese Andacht mit Ihnen zu feiern. Gerade in herausfordernden Zeiten ist es mir wichtig, innezuhalten und uns miteinander – nicht gegeneinander – auf den Weg zu machen. Und dabei tun wir gut daran uns auf das und auf den zu besinnen, der der Grund unserer Kirche ist.

Unsere Bezirkssynode findet am Vortag des 9. November statt. Der morgige Tag ist in mehrfacher Hinsicht ein bedeutender Tag unserer Geschichte: die Ausrufung der Weimarer Republik, die Reichspogromnacht und der Mauerfall. Zugleich ist der morgige Tag der dritte Sonntag vor dem Ende des Kirchenjahres. Damit beginnt eine Zeit, in der das Erinnern an unsere Endlichkeit, unsere Sterblichkeit und unsere Unvollkommenheit im Mittelpunkt steht. Wir feiern den Buß- und Bettag, den Volkstrauertag, den Totensonntag. Wir erinnern uns an die, die verstorben sind, an die Opfer von Krieg, Gewalt und Diktatur. Und wir denken daran, dass wir selbst Fehler machen, schuldig werden und unser Leben immer wieder neu ausrichten müssen. Wir führen uns vor Augen, dass wir sterblich sind, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist und wir alle eines Tages gehen müssen.

Es ist natürlich kein Zufall, dass diese Tage im November liegen, mit ihren grauen und dunklen Momenten. Die Natur um uns herum führt uns die Endlichkeit und Vergänglichkeit des Lebens drastisch vor Augen. Kein Wunder, dass viele Menschen in dieser Zeit mit Ängsten und Depressionen zu kämpfen haben. Abschied, Sterben, Tod, Versäumnisse – das sind keine angenehmen Themen. Uns fällt das schwer.

Vielleicht ist es gerade deshalb gut, dass es diese Tage am Ende des Kirchenjahres gibt. Damit wir diesen Themen nicht ausweichen, sie nicht verdrängen und ihnen am Ende hilflos gegenüberstehen. Sondern damit wir lernen und üben, mit ihnen zu leben. Und vielleicht haben wir das nötiger denn je.

Verlust“ – so hat der Soziologe Andreas Reckwitz sein neues Buch überschrieben. Darin beschreibt er den Verlust als die Grunderfahrung unserer gegenwärtigen Gesellschaft: „Gletscher schmelzen, Arbeitswelten verschwinden, Ordnungen zerfallen. Verluste bedrängen die westliche Gegenwartsgesellschaft in großer Zahl und Vielfalt.“ Reckwitz versucht zu zeigen, wie es zu dieser Verlusterfahrung gekommen ist. Verlusterfahrung statt Wachstum, Verlustängste statt Fortschrittsoptimismus – kennen wir das nicht auch in der Kirche? Prägt das nicht geradezu unsere kirchliche Grundstimmung?

Ja, wir befinden uns mitten in einem gewaltigen Transformationsprozess: nicht, weil wir wachsen, sondern weil wir schrumpfen; nicht weil wir mehr werden, sondern weil wir weniger werden; nicht weil Kirche an allen Orten aufblüht, sondern weil sie vielerorts welkt. Und wir reagieren darauf je nach Temperament mit hektischer Betriebsamkeit, mit wechselseitigen Vorwürfen, Verschwörungstheorien oder mit Resignation und Rückzug. Diese Verlust- und Trauerreaktionen sind allzu gut zu verstehen – und doch erschreckt mich manchmal, wie wir dabei miteinander umgehen.

Wir ringen als ganze Kirche mit unseren Verlusten, mit unserer Trauer, mit den Abschieden, die wir nehmen müssen. Und wir suchen nach Wegen, wie es in Zukunft weitergehen kann.

In dieser Situation feiern wir das Ende des Kirchenjahres: Buß- und Bettag, Volkstrauertag, Totensonntag. Vielleicht kann uns das Kirchenjahr helfen, mit unserer Situation umzugehen. Zum einen macht das Ende des Kirchenjahres unzweifelhaft klar, dass Verlust, Sterben, Abschied und Trauer zum Leben dazugehören. Ja, der Tod selbst gehört zum Leben dazu – daran erinnern uns die kommenden Sonn- und Feiertage. Nüchtern und ohne Schönfärberei konfrontieren sie uns mit der Realität, aber genau so befreien sie uns zu einem Leben jenseits von Verdrängung und Verleugnung. Und sie machen deutlich, wie wertvoll jeder Augenblick ist.

Und was wäre, wenn wir das auch für unsere Kirche akzeptieren würden? Wenn wir akzeptieren würden, dass auch hier Dinge zu Ende gehen dürfen? Dass sie wichtig und wertvoll waren, aber ihre Zeit irgendwann vorbei ist? Das gilt für Gruppen und Kreise, für Gottesdienstformen, Musik, Gebäude und auch für Rechtsformen. Alles war wichtig und wertvoll zu seiner Zeit – aber endlich. Dürfen bei uns Dinge in Frieden sterben?

Für uns Christinnen und Christen ist das allerdings nur die eine Hälfte der Wahrheit. Denn diese letzten Sonntage des Kirchenjahres laden uns ja nicht nur ein, uns mit Sterben und Tod zu beschäftigen, sondern sie tun dies im Licht der christlichen Hoffnung: im Glauben daran, dass mit Sterben und Tod nicht alles aus ist, dass Gottes Licht auch noch den Tod durchdringt.

Nach dem Totensonntag kommt der erste Advent. Wir feiern das Ende des Kirchenjahres schon mit dem Weihnachtsfest am Horizont. Der Übergang vom Totensonntag zum ersten Advent bringt die Hoffnung zum Ausdruck, dass der Tod nicht das Ende ist, sondern dass Gott neues Leben schaffen kann, dass Gottes Licht auch noch die tiefste Dunkelheit durchbricht. Darum zünden wir im Advent die Kerzen an.

Haben wir diese Hoffnung auch für unsere Kirche? Haben wir die Hoffnung, dass Gottes Licht neu aufstrahlen kann, wo wir schwarz sehen? Haben wir die Hoffnung, dass neues Leben entsteht, wo wir Vergänglichkeit wahrnehmen? Glauben wir, dass Gott kommt – auch zu uns?

Lassen Sie mich den Bogen noch ein Stück weiter spannen: An Weihnachten feiern wir, dass Gott zu uns gekommen ist – nicht als König, als Richter oder als gleißende Lichtgestalt, sondern als kleines Kind in einer Krippe, in einem windschiefen Stall. Er ist anders gekommen, als viele es sich damals gewünscht und gedacht hatten, aber genau so hat er die Welt verändert.

Vielleicht ist auch das ein Bild für die Kirche der Zukunft. Wird Gott auch zu uns anders kommen, als wir es uns wünschen? Wenn wir die Kirche dieses Kindes in der Krippe sein wollen, werden wir auf manche äußere Macht verzichten müssen. Und manches wird ärmlich, windschief, improvisiert und aus der Not geboren sein – wie die Krippe im Stall. Aber vielleicht erreichen wir dann umso mehr die Herzen der Menschen.

Liebe Gemeinde, morgen beginnt das Ende des Kirchenjahres. Die nächsten Sonntage laden uns ein, uns der Vergänglichkeit allen Lebens zu stellen – ganz persönlich, aber auch im Blick auf unsere Kirche. Doch das Ende ist nicht das Ende. Am Horizont leuchtet bereits aus einem windschiefen Stall ein Licht. Gott wird kommen – auch zu uns.

Amen.